Das Projekt ist zum Thema afghanische Frauen, die aus Afghanistan sowie aus dem Iran nach Deutschland migriert sind. Es fokussiert auf die unterschiedlichen Kontexte der Akkulturationswege, die die Frauen eingeschlagen haben, um in Deutschland ihr Leben zu führen.

Seit den 1980er Jahren sind Afghan:innen nach Deutschland eingewandert. Sie bilden insgesamt eine relativ kleine Gruppe in Deutschland (etwa eine Viertelmillion).1 Aber es gibt wenige Kenntnisse über das kulturelle und soziale Leben von ihnen, insbesondere von weiblichen afghanischen Migranten in Deutschland. Es liegen Berichte vor, in denen man die Anzahl der Migrant:innen, Arbeitsbedingungen oder finanzielle Abhängigkeit von der Bundesregierung nachvollziehen kann.2 Allerdings existieren nur geringe Informationen über die Akkulturation afghanischer Frauen in Deutschland.

In der Forschung zur Akkulturation3 und zu Migrantinnen lassen sich auch grundlegende Lücken in den Studien identifizieren. Erstens wurde der komplizierte Hintergrund der Migrant: innen selten als Ermittlungsfaktor in den Migrationsforschungen berücksichtigt. Unterschiedliche Strategien wie Assimilation oder Marginalisierung wurden mit persönlichem Erfolg oder Misserfolg von Migrant:innen oder sozialen und politischen Kapazitäten des Aufnahmelandes begründet. Es ist notwendig, dem mehrdimensionalen Hintergrund von Migrant:innen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, zum Beispiel die Migrationsursache und der Zustand vor der Akkulturation (pre-acculturation situation). Zweitens haben manche Migrant: innen, insbesondere Afghan:innen lange Zeit in einem Dritt- oder Transitland gelebt. Zum Beispiel lebten viele Afghan:innen vor der Anreise (seit 2015) nach Deutschland im Iran oder in Pakistan. Das heißt, sie haben sich schon einmal akkulturiert, bevor sie nach Deutschland kamen. Dieser Faktor muss bei der Erforschung des Themas Migrantinnen und ihrer Akkulturation in Deutschland berücksichtigt werden.

Um die Studienlücke zu füllen, wird sich dieses Projekt auf den Akkulturationsprozess der afghanischen Frauen in Deutschland konzentrieren.

Außer (Bürger-)Krieg, islamischem Fundamentalismus und Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe (wie Pashtun, Hazara, Tajik, Uzbek), erleben afghanische Frauen noch mehr Schwierigkeiten wie patriarchalische Machtstrukturen. Deshalb ist der Kontext im Frauenfall noch komplexer. Diese Komplexität wird in der geplanten Forschung berücksichtigt werden.

Die vorliegende Arbeit behandelt vor allem die Frage:

Wie haben sich afghanische Frauen akkulturiert, die zwischen 1980 und 2018 nach Deutschland migriert sind?

Die Akkulturation-Theorie von John W. Berry kann eine gute Grundlage für die Beantwortung der Studienfrage(n) bilden. Laut Berry übernimmt man durch Akkulturation die kulturellen und sozialen Elemente der Aufnahmekultur. Vier Kategorien beschreiben, wie sich Personen oder Gruppen an eine neue Gesellschaft anpassen: Assimilation (die Aufnahmekultur annehmen und das Kulturerbe verwerfen), Separation oder Segmentation (die Aufnahmekultur ablehnen und die Kultur des Erbes bewahren), Integration oder multiple Inklusion (Aufnahmekultur übernehmen und das Kulturerbe beibehalten) und Marginalisierung (beide Kulturen ablehnen).4 Berrys Modell ist der Studien-Rahmen in der ersten Phase. Basierend auf den Ergebnissen der ersten Phase wird die Studie jedoch eine qualitative Methode entwickeln, um mehr kontextabhängige Elemente der Akkulturation dieser Frauen zu entdecken. Daher ist es wichtig, eine qualitative Methode zu wählen (hier wende ich Grounded Theory5 an).

Die erste Untersuchung dieser Studie beginnt mit einer Befragung der afghanischen Frauen, die vom 1980 bis 2018 nach Deutschland zugewandert sind. Das Jahr 2018 wird gewählt, weil der Akkulturationsprozess einen (längeren) Zeitraum braucht und nicht schon dann gemessen werden kann, wenn eine Person gerade angekommen ist. Diese Befragung soll die Orientierung und Strategien von Individuen anhand des diagnostischen Instruments von Berry messen (Umfrageteilnehmerinnen: ca. 200). In einer weiteren Phase und basierend auf den Ergebnissen der Umfrage wird die qualitative Untersuchung durch Interviews mit einer ausgewählten Anzahl (ca. zehn) von Frauen beginnen, die bereits an der ersten Phase der Studie teilgenommen haben. Die Daten in dieser Phase werden durch Fokusgruppen und individuelle Interviews mit afghanischen Frauen erstellt. Während des Interviews können die Frauen zuerst ihre Lebens- bzw. Fluchtgeschichten von sich aus erzählen. Anschließend werden sie von Interviewerin gezielt befragt. Die Interviews werden in der Sprache geführt, die von den afghanischen Frauen bevorzugt wird, je nach Wunsch auf Deutsch, Englisch oder Dari/Farsi.

Englisch, Dari/Farsi und deutschsprachige Forschungen und Publikationen sind die weiteren Quelle, die analysiert werden.

1Vgl. Carolin Fischer, Afghanische Migration nach Deutschland: Geschichte und aktuelle Debatten, Bundeszentrale für politische Bildung, In: bpb.de vom 02.04.2019 (https://www.bpb.de/...).

2Vgl. Herbert Brücker/ Lidwina Gundacker/ Dorina Kalkum, Geflüchtete Frauen und Familien: Der Weg nach Deutschland und ihre ökonomische und soziale Teilhabe nach Ankunft. IAB-FORSCHUNGSBERICHT – Aktuelle Ergebnisse aus der Projektarbeit des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Berlin: 2020.

3Vgl. Hartmut Esser, Pluralisierung oder Assimilation? Effekte der multiplen Inklusion auf die Integration von Migranten. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 38, Heft 5, 2009 (10), S. 358–378.

4Vgl. John W. Berry/Robert C. Annis (1974). Acculturative stress: The role of ecology, culture and differentiation. In: Journal of Cross-Cultural Psychology, 1974, 5(4), S. 382–406.

5Vgl. Kathy Charmaz, Constructing Grounded Theory. SAGE Publications 2014.